Synopsis

Finnlands diesjähriger Oscar-Kandidat ist eine moderne Titanic-Variante über zwei Menschen, die zueinanderfinden, obwohl sie es nicht wahrhaben wollen: Laura (Sedi Haarla) sitzt im Zug nach Murmansk. Eigentlich sollte ihre Freundin mitkommen, aber die hat sie mehr oder weniger sitzen gelassen und damit die Beziehung auch beendet. Während Laura ihre Situation erst langsam begreift, steigt plötzlich in das Abteil Nummer 6 der saufende, vulgäre, fluchende Vadim (Yuriy Borisov) ein, und Laura fühlt sich tief belästigt. Sie überlegt sogar, ihre Reise abzubrechen. Doch je weiter der Zug Richtung Polarkreis fährt, desto stärker nähern sich die vollkommen unterschiedlichen Menschen einander an. Dem finnischen Regisseur Juho Kuosmanen ist mit „Compartment No.6“ ein völlig herzbewegendes Road Movie gelungen. Während einer einzigen realen Zugfahrt gedreht, gelingt seinem Team das Gefühl des Reisens, die Enge der Waggons, die Stille der russischen Nächte, in stimmungsvolle Bilder zu packen. Angesiedelt in den 1990er-Jahren und vollständig auf Film gedreht, erweist sich diese Reise auch als Feier der analogen Welt, schließlich können sich Vadim und Laura nicht mit Smartphones und Laptops isolieren. Sie müssen sich annähern. Bewegung und Reise werden bei Kuosmanen so zu Gestaltungsprinzipien, mit denen er Klassen- und Geschlechtergrenzen – nicht überwindet – aber zumindest versöhnt. Die Dynamik einer Freundschaft, die nie einem Liebesreflex geopfert wird, hat man in dieser überzeugenden Ernsthaftigkeit im Kino schon lange nicht mehr gesehen. Und Laura und Vadim werden so zu einem der interessantesten Filmduos der aktuellen Filmsaison. Noch lange nach dem Film fragt man sich, wie sich ihre Leben weiter entwickeln werden. Und vielleicht begegnet man ihnen ja – bei der nächsten langen Zugfahrt.

Around the World in 14 Films 2021, präsentiert von Johann von Bülow

Mit freundlicher Unterstützung von

Credits

+++ Closing Night – Berlin-Premiere +++

OT: Hytti nro 6
Regie: Juho Kuosmanen
Drehbuch: Rosa Liksom, Andris Feldmanis, Juho Kuosmanen
Produktionsland: Finnland, Deutschland, Estland, Russland 2021
Produktion: Aamu Film Company, Achtung Panda! Media Deutschland, Amrion, CTB Film
Cast: Seidi Haarla, Jury Borisov, Yulija Aug
Länge: 107 min.
Sprache: finnisch-russische OF / deutsche UT
Deutscher Verleih: eksystent filmverleih
Festivals: Cannes, Karlovy Vary, Toronto, Helsinki, Vancouver, London, Busan, Viennale
Preise: Cannes Großer Preis und Preis der ökumenischen Jury, Jerusalem, Manaki Brothers

Nominiert für die European Film Awards 2021 (Europäischer Film, Europäische Schauspielerin, Europäischer Schauspieler).

Offizieller Auslands-Oscar-Kandidat 2022 von Finnland